Miss Marple
Miss Marple, eine scharfsinnige alte Dame, nahm ihre Ermittlungen als Privatdetektivin in insgesamt 12 Kriminalromanen und einem Kurzgeschichtenband der englischen Schriftstellerin Agatha Christie (1890 - 1976) auf. Zum ersten Mal in Aktion trat die als klein und zerbrechlich beschriebene Jane Marple im 1930 erschienenen Roman "Mord im Pfarrhaus" (engl. Titel: "The Murder at the Vicarage"). Nach dem zwei Jahre später veröffentlichten Band mit Kurzgeschichten, "Die dreizehn Probleme" (engl. "The Thirteen Problems"), erschienen elf weitere Kriminalromane, von denen insbesondere die herausragenden Romane "Die Tote in der Bibliothek" (1942), "16 Uhr 50 ab Paddington" (1957), "Mord im Spiegel" (1962) und "Ruhe unsanft" (1976) stilbildend für das Genre der Kriminalliteratur wurden und Christies Ruf als eine der größten Autorinnen dieses Genres begründeten.
Die meisten Kriminalfälle, die Miss Marple - selbstverständlich mit größtmöglichem Erfolg - zu lösen versucht, ereignen sich in ihrem Heimatdorf, dem fiktiven Ort St. Mary Mead, der in der gleichermaßen erfundenen englischen Grafschaft Downshire liegt. Wer auch im Kontext der kriminalistischen Literatur hier ein friedliches, verschlafenes Nest vermutet, wird in der Lektüre schnell eines Besseren belehrt: So kommt es in den Romanen und Erzählungen in St. Mary Mead zu insgesamt 16 Morden mit unterschiedlichen Tötungsarten. Die Täter der Miss-Marple-Geschichten scheint jedoch eine Vorliebe zum Giftmord zu verbinden: Fünf der Verbrecher wählen diese Methode.
Dass Miss Marple, die als äußerst kultiviertes Mitglied der englischen upper middle class beschrieben wird, diese teilweise sehr undurchsichtigen Fälle löst, ist insbesondere ihrer Beharrlichkeit und Kombinationsgabe zu verdanken. Auch wenn sie durchaus scharfsinnig beobachtet und schlussfolgert, tragen jedoch recht häufig - gerade im Vergleich zu anderen berühmten Detektivfiguren wie etwa Sherlock Holmes oder Christies Hercule Poirot - auch offensichtliche Fehler der Täter zur Lösung der Fälle bei, nicht zuletzt auch in dem wohl bekanntesten Miss-Marple-Roman "16 Uhr 50 ab Paddington".
Ihren hohen Bekanntheitsgrad hat die Figur zahlreichen Filmen zu verdanken, von denen insbesondere die vier Filme von Regisseur George Pollock zu empfehlen sind. Zwar fand Agatha Christie selbst wenig Gefallen an dem Leinwandauftritt ihrer Figur - nur bei "16 Uhr 50 ab Paddington" handelt es sich um eine Verfilmung einer Christie-Vorlage - , doch lag dies keineswegs an der cineastischen Qualität der Filme: Margaret Rutherford überzeugt in der Rolle der Miss Marple, auch wenn sie in ihrem Erscheinungsbild nicht zu dem in den Romanen gezeichneten Bild der Figur passt. So rieb sich die Autorin in erster Linie an der Statur Rutherfords, die im Gegensatz zur Romanfigur klein und stämmig war. Der Erfolg der Filme, der auch Nichtleser mit der Figur der Miss Marple vertraut machte, schien Christie jedoch mit der Darstellerin zu versöhnen: Immerhin widmete sie ihr den 1962 erschienenen Band "Mord im Spiegel".
Wer tatsächlich noch nichts von Miss Marple und ihren Fällen gelesen oder gesehen hat und der alten englischen Dame bei ihren Ermittlungen über die Schulter sehen möchte, dem sei als erster Einstieg der Film "16 Uhr 50 ab Paddington" empfohlen, der im Wesentlichen der Romanvorlage folgt und neben Rutherford auch mit weiteren überzeugenden Darstellern (Stringer Davis, Muriel Pavlow) besetzt ist. Der heute als absoluter Kultfilm angesehene Film besticht zudem durch leise Ironie, britischen Humor und einen Charme, der ebenso altmodisch wie unwiderstehlich ist. Diese Stärken, die die in Teilen recht bieder konstruierte Geschichte um einen aus einem fahrenden Zug beobachteten Mord vergessen lassen, machen den Film auch für heutige Zuschauer sehenswert. Hervorzuheben ist zudem die Verfilmung "Mord im Spiegel" (1980), die neben Angela Lansbury in der Rolle der Miss Marple mit einem beachtlichen Staraufgebot (Tony Curtis, Liz Taylor, Kim Novak) glänzt.
Als erste Lektüre sei abschließend auf den bereits erwähnten Band mit Kurzgeschichten ("Die dreizehn Probleme"), die einen facettenreichen Einblick in die Welt der berühmten Amateurdetektivin bieten, sowie den auch als Roman empfehlenswerten "16 Uhr 50 ab Paddington" verwiesen.